Gehirnforschung
Egotrip im Hirn
Das Gehirn hat von allen Organen im menschlichen Körper den höchsten Energiebedarf. Obwohl seine Masse nur etwa zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht (ca. 1400 Gramm), beansprucht es gut die Hälfte der täglich mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate. Kommt Stress hinzu, entzieht es dem Blut sogar rund 90 Prozent des darin gelösten Zuckers (der Glukose). Wie kommt es, dass trotzdem gerade manche gestresste Menschen an Übergewicht leiden, also offenbar überschüssige Energie haben?
Trotz seines großen Energiehungers besitzt das Gehirn keine großen Energiespeicher. Deshalb muss es immer dann, wenn es Glukose braucht, diese aktiv und schnell woanders abziehen. Es bedient sich dazu zweier Mechanismen, die man als "Brain pull" (Gehirn-Zug) bezeichnet. Zum Einen gibt es bestimmte Versorgungszellen, die aus den Blutbahnen rasch Glukose abziehen, damit das Energieniveau in den Nervenzellen des Gehirns nie zu sehr abfällt. Zum Anderen sorgen spezialisierte Nervenzellverbände wie ein Verkehrslotse in einem Abschnitt des Zwischenhirns dafür, dass das Fettgewebe und die Muskulatur im restlichen Körper keine Glukose aufnehmen können. Sie leiten den Zucker dann ins Gehirn um. Dieser „Brain pull“ ist ein lebenswichtiger Mechanismus. Ist der Mensch gesund, kann der Organismus damit seinen Energiehaushalt immer im Gleichgewicht halten.
Was aber, wenn die Energiebalance gestört wird, wie beispielsweise bei chronischem Stress? Das erforschen Wissenschaftler um den Lübecker Mediziner Prof. Dr. Achim Peters, der die „Selfish-Brain“-Theorie entwickelt hat. Sie erklärt, wie der menschliche Organismus seine Energieversorgung in Gang hält und wie diese durch einen Stau in der Glukose-Zulieferung entgleisen kann. „Ist der Brain Pull gestört, entstehen Übergewicht und Zuckerkrankheit“, hat Peters festgestellt. Dann liegt vor, was Logistiker einen Stau in der Lieferkette nennen: Durch Störungen in einzelnen Hirnregionen erhält das Gehirn nur einen geringen Teil seiner benötigten Energie, der überwiegende Teil häuft sich stattdessen im Fett- und Muskelgewebe an. Jetzt droht dem Gehirn Unterversorgung, und es ordnet akute Nahrungsaufnahme an. Der Mensch isst, obwohl der Körper bereits gesättigt ist. Ein Teufelskreis beginnt, denn wieder gelangt nur sehr wenig Glukose zum Gehirn, während die Fettpolster sich weiter auffüllen. Den Ausweg aus dieser Situation sehen die Wissenschaftler vor allem in Verhaltenstherapien, denn man kann den Umgang mit Stress und Konflikten lernen.